Was war passiert.
Am 21. Dezember 2020 ereignete sich folgendes am Waldkindergarten in Vlotho. Ein Gründungsmitglied des Waldkindergartens ging im Oberbecksener Wald mit seiner Frau und seinen Kindern spazieren. Sein fünfjähriger Sohn, dessen Betreuungsvertrag gekündigt wurde, war die Örtlichkeit natürlich bekannt. Und so rannte dieser durch das verschlossene Tor der Kita auf das Gelände, und ehe sich der Vater versah, war auch sein jüngerer Bruder auf dem Grundstück. Da die Kinder nicht auf Zuruf reagierten, betrat der ehemalige Kassierer das Gelände um seine Kinder zurück zu holen.
Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch
Da das gesamte Gelände, so wie auch der Parkplatz und Teile des Waldes mit Kameras des Waldkindergartens überwacht wurden und werden und die damalige Vorsitzende den Kassierer des Gründungsvorstandes erkannte, erstatte diese sofort Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch.
Entsprechend bekam der Vater dann auch eine Anhörungsbogen von der Polizei, um sich zu dem Vorfall zu äußern. Dieser antwortete, dass er lediglich seine Kinder vom Grundstück geholt habe, und dass es nicht Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sei, zu definieren welches Mitglied, ehemalige Vorstandsmitglied oder Elternteil wann, welchen Bereich des Kindergartens betreten darf. Zudem verwies der Vater darauf, dass der Waldkindergarten keinen rechtsgültigen Pachtvertrag hat und daher überhaupt nicht das Hausrecht ausüben darf.
Laut Gesetzeslage ist die Staatsanwaltschaft nun angehalten, auch den entlastenden Beweisen nachzugehen, also den Pachtvertrag anfordern, und in die Grundbuchakte Einsicht nehmen. Da es sich aber dem Anschein nach um eine Zivilangelegenheit handelte und derartige Anzeigen in der Regel ohnehin standardmäßig eingestellt werden, ging die Staatsanwaltschaft den Hinweisen offenbar nicht nach. Allerdings muss in Fällen der Einstellung immer das zuständige Amtsgericht zustimmen. Dies tat der zuständige Richter am Amtsgericht Bad Oeynhausen aber in diesem Fall nicht. Was ihn dazu bewegte durch sein Vorgehen ein Verfahren in Gang zu setzen ist nicht bekannt.
Strafbefehl über 600 Euro
Und so blieb der Staatsanwaltschaft in Bielefeld nichts anderes übrig als zu handeln. Dem Vater wurde im Frühjahr 2021 eine Strafbefehl in Höhe von sechshundert Euro zugestellt. Der ehemalige Kassierer des Vereins weigerte sich aber zu zahlen und legte gegen den Strafbefehl Einspruch ein. Die Staatsanwaltschaft war also gezwungen Anklage gegen den Vater zu erheben. Dieser forderte nun Akteneinsicht beim Gericht. Nach mehreren Hin und Her wurde ihm diese dann zum Teil gewährt. Die Aufnahmen die von ihm während des Betretens des Grundstücks gemacht wurden, verweigerte man ihm jedoch. Der Vater, der nicht anwaltlich vertreten war, beantragte eine Entscheidung des zuständigen Richters. Er verwies auf § 147 der Strafprozessordnung welche dem Beschuldigten, der nicht durch einen Anwalt vertreten ist, eine vollständige Akteneinsicht zu gewähren ist, und dass der Europäische Gerichtshof dies erst vor wenigen Jahren noch mal klar festgestellt habe.
Dem zuständigen Richter blieb nichts anderes übrig, als die vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Nachdem dies geschehen war hinterließ der Vater dem Richter eine Nachricht, dass er sich nun, nachdem er vollständig Akteneinsicht genommen hatte, zu den Vorwürfen äußern werde.
Richter verurteilt Vater zu 300 Euro Geldstrafe
Dazu kam es aber nicht mehr, denn schon am kommenden Tag terminierte der zuständige Richter zur Hauptverhandlung die dann in der übernächsten Woche statt finden sollte. Dennoch äußerte sich der Beschuldigte und stellte den Beweisantrag die Grundakte des Grundbuchamtes und den Pachtvertrag vor zu legen.
Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung teilte der Richter den Anwesenden mit, dass zwar ein Beweisantrag eingegangen sei, dieser aber leider zu spät eingetroffen sei. Der Vater argumentierte, dass selbst wenn ein rechtsgültiger Pachtvertrag vorliegen würde und selbst wenn er ein rechtsgültiges Betretungsverbot erhalten hätte, er ja zumindest ein Notbetretungsrecht nach BGB § 904 habe, da er im Rahmen eines Notstandes, nämlich die Aufsichtspflicht über seine Kinder auszuüben, berechtigt war das Gelände kurzzeitig zu betreten.
Der Argumentation folgte der Richter nicht. Insgesamt haben die Aufnahmen gezeigt, dass der Beschuldigte fast zwei Minuten auf dem Gelände war. Das war für das Gericht zu lange um nur seine Kinder (6 und 3 Jahre) vom Gelände zu holen.
Dennoch reduzierte der Richter das Strafmaß auf 300 Euro Geldstrafe und legte dem Vater die Kosten des Verfahrens auf.
Landgericht beendet das Verfahren ohne weitere Verhandlung und legt der Staatskasse die Kosten des Verfahrens auf.
Aber auch damit wollte sich der ehemalige Kassierer des Gründungsvorstands nicht abfinden. Er ging in Berufung vor das Landgericht in Bielefeld. Was viele nicht wissen; in Strafsachen braucht man selbst vor dem Landgericht keinen Rechtsanwalt. Der Vater argumentierte, dass es gegen seine Grundrechte als Beschuldigter verstoße wenn Beweismittel die beantragt wurden einfach nicht zur Hauptverhandlung beigebracht werden. So wäre dies ja problemlos möglich gewesen, da die Grundakte über das Grundstück an der Oberbecksener Straße beim Registergericht in Bad Oeynhausen lagere. Um genau zu sein, eine Etage tiefer als der Sitzungssaal. Es wäre also problemlos möglich gewesen die Grundakte durch einen Justizangestellten in den Sitzungssaal bringen zu lassen.
Er beantragte beim Landgericht, die Grundakte und den Pachtvertrag bei zu bringen. Zudem stellte er fest, dass das Amtsgericht Bad Oeynhausen in seinem Urteil nicht definiert habe wie ein Notbetretungsrecht, wie im vorliegenden Fall, auszuüben sei. Der Vorwurf, zwei Minuten seien nicht unverzüglich sei nicht klar definiert.
Das Landgericht, dass nun den Fall erneut hätte verhandeln müssen, beendete das Verfahren jedoch umgehend ohne weitere Verhandlung und ordnete an, dass die Staatskasse die Kosten des Verfahrens zu tragen hätte.
Aktenzeichen: 014 Ns-302 Js 710/21-61/21
Kommentar
Wir leben in einem Rechtsstaat und wir haben Richter und Richterinnen die frei in ihren Entscheidungen sind. Das ist gut so. Aber gelebt wird dieser Rechtsstaat auch nur von Menschen. Diese sind nun mal keine gefühllosen Roboter und so entstehen an den Amtsgerichten auch mal Entscheidungen die man anzweifeln kann. Was den zuständigen Richter des Amtsgerichts dazu bewogen hat, hier ein solches Fass auf zu machen, ist nicht logisch zu erklären. Aber, der Rechtsstaat funktioniert, denn es gibt immer noch Kontrollen übergeordneter Behörden. Das einzige was man dazu braucht ist der Mut, seine Ansichten zu vertreten. Dies macht dieser Fall klar. Das Amtsgericht Bad Oeynhausen kann dennoch zufrieden sein. Das Landgericht hätte das Verfahren auch aufgrund der Fehler an das Amtsgericht zurück verweisen können. Dies wäre dann richtig peinlich geworden.